Waschbären im Hinterhof
Im nordhessischen Jesberg wurden in einem Haus innerhalb eines Jahres 43 Waschbären gefangen. Doch genützt hat es wenig. Das Haus ist immer noch fest in Waschbärhand. Die Tiere verschaffen sich nachts über ein Loch in der Stubenwand Zugang zur Wohnung.
Ein massiertes Auftreten des Waschbären im Siedlungsraum des Menschen ist nicht ungewöhnlich. In der Regel äußert sich die Anwesenheit der maskierten Untermieter für die betroffenen Anwohner weit weniger dramatisch. Fraßschäden an Kulturobstpflanzungen, ausgeplünderte Mülltonnen und Kompostanlagen oder Schäden auf Dachböden zeugen vom Besuch der ungebetenen Gäste. Nicht wenigen Menschen wachsen die nächtlichen Besucher jedoch auch ans Herz. Sie füttern die Tiere mit Schokoladenkeksen und Erdnüssen. Die ewig hungrigen Gesellen belohnen die Tierliebhaber damit, daß sie zum allabendlichen Stelldichein bald die weitere Verwandtschaft mitbringen. Gefütterte Waschbären werden schnell vertraut und lassen sich bald schon aus der Hand füttern. Aber Vorsicht ist geboten: Wer nicht will, daß mehrere Dutzend Waschbären den heimischen Garten umgraben, sollte das Füttern lieber unterlassen.
Je häufiger Waschbärschäden auftreten, desto lauter wird der Ruf nach einer radikalen Lösung. Nahezu täglich erreichen die GWN Anrufe, in denen Hausbesitzer das Töten der lästigen Hausgenossen fordern. Doch diese Form der "Problembeseitigung" funktioniert selten. Der Waschbär ist zu schlau und sein Sozialsystem zu gut strukturiert, als daß er sich durch das Entfernen einzelner Individuen vertreiben lassen würde.
Zur Verstädterung (Urbanisierung) des Waschbären
Man nimmt an, daß sich der Waschbär in Amerika erstmals Mitte des Jahrhunderts vermehrt in Stadthabitaten ansiedelte. Schinner & Cauley (1974) befaßten sich bereits 1968 mit der Raumnutzung urbanisierter Waschbären in Cincinnati im U.S. Bundesstaat Ohio. Hoffmann & Gottschang (1977) folgten mit einer Studie in der Siedlung Glandale ebenfalls in der Nähe Cincinnatis. Sie ermittelten hohe Dichten von 77 bis 176 Individuen / 100 ha und sehr kleine Aktionsräume von durchschnittlich ca. 5 ha Fläche. Spätere Untersuchungen befaßten sich mit Waschbärpopulationen in den Großstädten Washington (Sherfy & Chapman 1980; Hadidian et al. 1991) und Toronto (Rosatte et al. 1991). Dort wurden lokal ähnlich hohe Dichten von ca. 100 Ind / 100 ha gemessen. In allen Untersuchungen sind es stets die Wohngebiete und Vororte gewesen, die von den Waschbären bevorzugt besiedelt werden (Anthony et al. 1990).
Die Stadt als Superlebensraum
Die Stadt bietet den anpassungsfähigen Kleinbären gute Lebensbedingungen. Die Tiere zeigen eine hohe Reproduktivität und sind in guter körperlicher Verfassung (Rosatte et al. 1991). Unterschlupfmöglichkeiten stehen ihnen nahezu unbegrenzt zur Verfügung. Dabei zeigen sich die Waschbären sehr anpassungsfähig: Als Tagesverstecke werden Abwassersysteme sowie verlassene Häuser und Scheunen ebenso aufgesucht (Hoffmann & Gottschang 1977) wie alte Bäume in Parks und Gärten (Slate 1985; Hadidian et al. 1991; Rosatte et al. 1991). Der Winter verliert im gemäßigten Stadtklima an Härte. Nahrung ist ganzjährig und oftmals im Überfluß verfügbar. Hoffmann & Gottschang (1977) konnten in Kotproben der Waschbären von Glandale Früchte und Samen von 46 Pflanzenarten nachweisen. Insbesondere der Hausmüll ist für Waschbären eine ergiebige Nahrungsquelle (Hoffmann & Gottschang 1977). Rosatte et al. (1991) berichten aus Toronto, daß Waschbären darüber hinaus auf den zahlreich angelegten Golfplätzen und Rasenflächen sehr gute Bedingungen für den Regenwurmfang vorfinden. Doch das Stadtleben hat auch Nachteile: Das Migrationsverhalten wird durch unüberwindliche Barrieren wie Straßen oder vegetationslose Geschäftszentren erschwert. Der Verkehr kann zu einer häufigen Todesursache werden (Anthony et al. 1990). Weiterhin ist denkbar, daß Störungen bzw. die Präsenz des Menschen (oder Lärm?) eine strengere Nachtaktivität erzwingen.
Im Endeffekt, so müssen wir feststellen, erscheint die Stadt als ein Lebensraum, in dem langfristig die Vorteile überwiegen und in dem Waschbären in extremen Dichten und auf kleinstem Raum leben können.
"Lästling" Waschbär
Dabei erscheint vielen Menschen die Anwesenheit des Waschbären im eigenen Lebensraum nicht immer positiv. Im Rahmen einer Umfrage in 12 texanischen Städten wurden insgesamt 7681 Beschwerden über Wildtiere ausgewertet. Auf den Waschbär bezogen sich 10 % aller Beschwerden. Er stand damit an 2. Stelle gleich nach Ratten und Mäusen (Chamberlain et al. 1982). Besonders ärgerlich ist die Beseitigung von Waschbärexkrementen auf Dachböden, da sie die Bewohner teuer zu stehen kommen kann.