Brutzeitliche Verhaltensmuster und Zeitbudgets
Zusammenfassung der Dissertation am Institut für Wildbiologie der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Universität Göttingen (1998)
Über die Wasserralle (Rallus aquaticus) wurde bisher in Deutschland nur wenig geforscht. Gründe hierfür liegen vor allem in der Habitatstruktur ihrer Lebensräume, die systematische Beobachtungen wesentlich erschwert und am ehesten mit einer Fichtendickung vergleichbar ist. Eine systematische Untersuchung des Verhaltens erschien daher dringend erforderlich, um mit dem Wissen über die Lebensweise dieser in ihrem Bestand bedrohten Vogelart artgerechte Schutzmaßnahmen aufstellen zu können.
Ziel der Dissertation war es, die brutzeitlichen Verhaltensmuster, ihr Zeitbudget und das Stimminventar bei der Wasserralle zu beschreiben. Hierfür wurden 1991 bis 1994 Wasserrallenpaare in verschieden gestalteten Volieren am Institut für Wildbiologie der Uni Göttingen gehalten und ihr Verhalten während zwölf Brutzyklen mittels der scan-sampling Methode (beschrieben in: Martin,P.& P.Bateson 1993: Measuring Behaviour, Cambridge) protokolliert. Über Freilandbeobachtungen wurden die bioakustische Befunde ergänzt sowie über Fang und Beringung von Jungvögeln brutphänologische Daten erhoben.
Ergebnisse:
nicht epigame Verhaltensmuster
Die gekäfigten Rallen verhielten sich tagaktiv mit Aktivitätsmaxima in den frühen Morgen- und späten Nachmittagsstunden. Sequenzen des Nahrungserwerbs, des Ruhe- und des Komfort-verhaltens waren dabei unregelmäßig über den Tag verteilt. Mehrmals am Tag legten die Rallen ausgiebige Ruhephasen ein, in denen sie stehend oder liegend ruhten.
Wasserrallen sind gute Läufer mit kräftigen Beinen und relativ langen Zehen. Hindernisse wurden nach Möglichkeit unterschlüpft. Sie kletterten recht ungern, im Gegensatz zur Kleinralle (Porzana parva), die im gleichen Lebensraum vorkommt.
Die bevorzugte Art der Nahrungssuche war das Stochern in weichem Substrat und damit die taktile Lokalisation von Evertebraten. Insgesamt 16 % ihres Zeitbudgets verbrachten die Rallen mit der Nahrungssuche und der Nahrungsaufnahme. Sie liefen dabei immer wieder bestimmte Wege ab und sammelten alle freßbaren Teile auf. Die in der Literatur beschriebene Tötung von Kleinsäugern oder Vögeln scheint auf territorial-aggressive Verhaltensmuster zu basieren. Unverdaute Nahrungsreste spien die Wasserrallen als Gewölle aus.
Den Kot setzten die Altvögel mit knicksender Bewegung ins Wasser ab. Hier löste sich der Kot sehr rasch auf. Vermutlich wurde diese Strategie entwickelt, um nicht durch weiße Kotflecke eine Anwesenheit zu verraten.
Die verschiedenen Verhaltensweisen des Komfortverhaltens nahmen im Mittel 12,8 % des Zeitbudget der Wasserralle ein. Nach jedem Badevorgang putzten sich die Vögel ausgiebig und fetten mit ihrem Bürzelfett das gesamte Gefieder ein, dass mit dem Schnabel erreicht wurde.
epigame Verhaltensweisen
Nach den Freilandbeobachtungen bezogen die Wasserrallen im März und April das Brutrevier und begannen sofort mit der Balz. Nicht verpaarte Tiere riefen sich durch einen intrasexual spezifischen Laut zusammen, der als Paarfindungsruf bezeichnet werden sollte. Dieser Ruf besteht aus im Mittel 0,19 Sekunden langen Elementen, beim Weibchen endet die Strophe stets mit einem in der Tonhöhe abfallenden Triller. Während des Balztreibens stieß das Männchen klopfende Laute aus, die als Indiz für ein Paarvorkommen gelten können. Die lange Balzphase läßt vermuten, daß die Kopulationen am Anfang der Balzphase vor allem der Paarbindung und nicht zuerst der Befruchtung dienen.
Eine Revierabgrenzung erfolgte über die abendlichen Erregungsrufe, die in Duetten oder Rufgruppen vorgetragen wurden. Dabei konnten auch Duette von zwei Männchen festgestellt werden. Eine Gleichsetzung von Duett=Brutpaar sollte daher nur dann erfolgen, wenn das höher und schneller rufende Weibchen eindeutig identifiziert wurde. Im Rahmen der Balz konnten erstmals ein Kopulationslaut, ein Nestanzeigeruf sowie einige Intimlaute in ihrer Art und Funktion beschrieben und sonagraphisch dargestellt werden.
Das Brutgeschäft verlief biparental, wobei der Nestbau hauptsächlich vom Männchen durchgeführt wurde. Die mittlere Dauer des Brutintervalls betrug beim Weibchen 73,5 Minuten und war signifikant länger als die des Männchens (44,1 min). Der Schlupf erfolgte synchron. Die Jungen blieben etwa fünf Tage im Nest und wurden hier von beiden Altvögeln gefüttert und gehudert. Bei Gefahr verließen die Jungvögel blitzschnell das Nest und versteckten sich in Ritzen von Schilfbulten oder Wurzelstöcken. Die Altvögel äußerten dabei einen Warnruf. Verstummten die Altvögel, riefen die Pulli den "Ruf des Verlassenseins" und wurden dann von einem Elter im Schnabel ins Nest zurückgetragen.
Bei den Brutpaaren war das Territorialverhalten stark ausgeprägt. Ein Männchen zerstörte die Brut eines anderen Männchens und kopulierte anschließend mit dessen Weibchen. Offen bleibt, ob es sich hierbei um einen Haltungsartefact handelt, oder ob extra-pair-copulations auch im Freiland vorkommen.
Über die Handaufzucht von sechs Jungvögeln wurden Wachstumskurven ermittelt, anhand derer das Alter im Freiland gefangener Jungvögel abgeschätzt werden konnte. Über das Alter wurden Schlupf- und Legedaten zurückgerechnet. Erste Jungvögel schlüpften hiernach in der zweiten Maidekade, die Höchstwerte ergaben sich für die dritte Junidekade.
(Die Dissertation ist erschienen im Cuvillier-Verlag, Göttingen, ISBN 3-89712-108-5)